Speicherstraße

Dortmunder Baustellen
von Negar Foroughanfar

Interview von Negar Foroughanfar mit Aldina Okeric über Baustellen in Dortmund

Negar Foroughanfar (N): Magst du dich kurz vorstellen?

Aldina Okeric (P): Gerne! Also, ich bin Aldina Okeric und ich bin Kunst- und Kulturschaffende hier in Dortmund. Ich komme auch selbst aus Dortmund und zurzeit studiere ich parallel auch noch Kunstgeschichte und Gender Studies in Bochum.

Wir laufen hier grade am Hafen entlang und im Grunde laufen wir zum Speicher 100. Das ist das Gebäude, in dem ich ehrenamtlich tätig bin, unter anderem als Vorstandsmitglied des Amores. Das ist ein Verein für Bildende und urbane Künste, mit anderen weiteren Vereinen sind wir dann zum Zusammenschluss im Speicher 100 gekommen. Das ist ebenfalls ein Verein, der sich im Grunde für eine kulturelle Quartiersarbeit im Hafen einsetzen möchte. Das ist zumindest unser Ziel, Subkultur und diese sogenannte Hochkultur vielleicht miteinander zu kombinieren und einfach Raum für Mitgestaltung zu schaffen.

N: Ich finde es interessant, dass du sagst, dass du in Dortmund groß geworden bist, also aus Dortmund kommst. Wie hat sich die Stadt für dich entwickelt, also gibt es dann immer so Verbindungen zwischen deiner Kindheit und mit der Mentalität, die du jetzt hast, nach deinem Studium und nach deiner Aktivität hier in der Stadt?

P: Also, gerade fällt mir ein, ich erinnere mich noch an ein Schulprojekt damals. Da war ich in der 11. Klasse und da ging es um das West-End, das ist das Unionsviertel und das sollte damals umgestaltet werden, auch die Züge, die Renovierung des Dortmunder U und überhaupt bauplanerisch, wie kann man ein Viertel in dem Fall neu gestalten, so dass es vor allen Dingen ein Ort für die Menschen, die vor Ort dort leben werden, wird. Und in diesem Schulprojekt hatten wir verschiedene Spaziergänge gemacht mit mehreren Methoden, den Ort erkundet und für uns eingenommen und umgestaltet und das war für mich der erste Moment, in dem ich dachte, ah o.k., ich kann ein Teil des Prozesses sein. Ich kann ja auch Auswirkungen haben auf mein Umfeld und auf die Stadt, in der ich lebe.

N: Wie alt warst du da?

P: Da war ich vielleicht 17. Und das fand ich total interessant und ich sehe da auf jeden Fall auch Parallelen zum Hafen. Jetzt habe ich natürlich eine andere Position, ein anderes Mindset und fühl mich ja auch einfach sehr verbunden mit Dortmund und ich hab das Gefühl, dass wenn ich hier in Dortmund auch weiter bleiben möchte, ich aktiv einen Raum für mich schaffen möchte, weil das ist auch das Problem, zumindest in Dortmund, dass viele, sag ich mal, auch kreative und auch gut ausgebildete Menschen hier ihre Ausbildung machen, dann aber wegziehen. Es gibt einfach keinen Ort des Austausches, auch des voneinander Lernens auf interdisziplinärer Ebene. Es ist halt immer sehr auf bestimmte Künste bezogen, ob jetzt nur Street Art oder dann nur Hochkultur im musealen Kontext und mir fehlt hier im Raum so ein bisschen die Schnittstelle dieser beiden Kulturen.

N: Voll interessant! Hier kann man vielleicht auch direkte Verbindungen zu den Baustellen herstellen, weil meine Beobachtung von der Baustelle ist, da finden ja auch viele Dinge parallel statt. Da sind ja auch mehrere Sprachen, die wir meistens nicht verstehen. Ein sehr internationaler Ort und auch viele Fachmenschen, die parallel arbeiten. Vielleicht weiß man nicht, ob die miteinander arbeiten oder wie deren Arbeitsstruktur ist, also wer soll zuerst fertig sein, damit die nächste rein kommen kann, aber denkst du, man kann die Baustelle als Beispiel nehmen für die Elemente, die du jetzt gerade genannt hast bezüglich Räume in der Stadt aufzubauen?

P: Auf jeden Fall schon! Der Unterschied läge vielleicht einmal darin, dass an einer Baustelle die Flexibilität nicht unbedingt vorrangig ist oder auch eher als störend empfunden wird, weil man manchmal notgedrungen flexibel sein muss oder wenn beispielsweise Materialengpässe entstehen oder das Personal ausfällt, aber irgendwann ist diese Baustelle ja auch nicht mehr da, dann ist dieser `Nicht-Ort´ ein Ort geworden und das wäre vielleicht interessant, sich zu fragen: „Ist denn nicht alles im Grunde eine Dauerbaustelle?“ Also in welchem Rahmen definiert man Baustelle? Ist es das stetige Aufbauen von Dingen? Ist es das Umwandeln? Das Sichtbare ist es vor allen Dingen. Ich glaube, das macht eine Baustelle auch aus, dass es sichtbar ist. Und ich glaube jetzt im Vergleich zu einem Projekt wie dem Speicher 100, das wird niemals aufhören, das wird eine Dauerbaustelle sein, weil wir uns immer wieder neu entwickeln möchten mit den Leuten der Stadt, auch weiterentwickeln möchten und auch wenn es super anstrengend klingt, freue ich mich sehr darauf, weil das bedeutet für mich auf jeden Fall eine Dauertransformation und eine Offenheit, die ich auch für mich selbst haben möchte.

N: Für mich ist ja auch immer diese temporäre Existenz von der Baustelle interessant, aber ich verbinde damit direkt, dass es vielleicht einen Ort gab. Hier zum Beispiel: Wir sind am Hafen, vielleicht gab es eine Ecke, wo Menschen gerne waren, aber jetzt, durch Stadtpolitik oder was auch immer, existiert dieser Raum nicht mehr.

Da ist ja auch voll eine Interpretation von der Baustelle und was du auch vorhin erzählt hast, dass auch irgendwie die Menschen, die mich so hier halten, weil es diesen Austauschraum nicht so gibt in der Art,  wie es sein soll, und die auch verschwinden oder andere Städte vorziehen, als jetzt hier in Dortmund zu bleiben.

P: Ja, weil nicht alle so gesehen auch die Möglichkeit haben, einen Ort für sich zu finden und auch wirklich mitzugestalten. Also, man kann natürlich viel herumträumen und sich viel überlegen und Gedankenexperimente aufstellen, aber für mich hat sich das richtig schön ergeben mit dem Speicher als konkreter Ort, wo ich konkret arbeiten kann, konkret weit denken kann, weil, ich glaube, das ist das Problem, dass man irgendwann keinen Anhaltspunkt findet, um das dann auch umzusetzen. Vor allen Dingen ist das Problem, dass vieles nicht nachhaltig ist, also dass man dann immer nur von Projekt zu Projekt springt, dass man da diesen Platz bespielt und hier einen Ort umgestaltet, aber das sind halt immer nur so kleine Projekte und die verschwinden dann wieder und ich glaube, das frustriert dann auch ein wenig, also das würde mich frustrieren, das Gefühl zu haben, o.k., ich kann keinen Ort schaffen, wo ich auch verweilen kann, an den ich mich auch einfach über Jahre erinnern kann, zum Beispiel.

N: Ja, der Mangel an Nachhaltigkeit, also an nachhaltigen Räumen, ist der erste Anlass, warum ich die Baustellen vorgeschlagen habe, weil dann auch viele Dinge auf einmal verschwinden und die Frage ist, wie wir damit umgehen oder was für einen Widerstand wir leisten sollen,  um einige Dinge beizubehalten. Gibt es denn auch in eurem Verein oder eurem Raum Ideen dazu?

P: Den Ort so zu behalten, wie er ist?

N: Ja, oder auch Zusammenarbeit zu behalten, wie sie ist, oder nicht für ewig zusammenzubleiben, aber zumindest so eine nachhaltige Zusammenarbeit zu gestalten.

P: Ja, das ist auf jeden Fall auch ein Punkt, über den man regelmäßig sprechen sollte, weil natürlich sind wir gerade als Gruppe formiert dabei, diesen Ort nicht nur zu unserem Ort zu machen, sondern auch als einen Ort für andere, für die Stadt, aber man darf auch nicht vergessen, dass auch wir irgendwann beispielsweise älter werden, wir dann dadurch vielleicht andere Ideen, ein anderes Publikum ansprechen und uns dann die Frage stellen: Haben wir denn konkrete Zielgruppen, für wen machen wir das wirklich noch, ist es wirklich für uns und die Stadt? Und da wirklich das Maß zu finden, in wie weit wir überhaupt vielleicht noch in einer Position sein sollten, das selbst zu entscheiden und nicht noch Leute hinzuzuziehen. Ich glaube, das wird auch ein Dauerprozess sein, dass nicht nur wir diejenigen sind, die das entscheiden, sondern auch Leute von hier aus hinzuziehen, die vielleicht andere Ideen haben, andere Impulse, andere Vorstellungen, weil das geschieht natürlich ganz schnell, dass man in einer schönen kleinen Blase bleibt und gar nicht merkt, was in der Außenwelt passiert, wenn der Kontakt nicht da ist. Und ich glaube, das wird die größte Herausforderung, in Kontakt mit den Leuten zu bleiben, im Austausch.

N: Und seid ihr auch im Kontakt mit der Politik, mit der Stadtpolitik?

P: Ja, genau gerade aktuell natürlich im Zuge der Umnutzungspläne, weil dieser Speicher 100 ist ja aktuell noch ein Lagerraum. Das heißt, nicht unbedingt für die Öffentlichkeit zugänglich. Da muss auf jeden Fall noch einiges umgebaut werden und natürlich stellt sich die Stadt die Frage, warum bleibt ihr hier? Was habt ihr für eine Relevanz? Wer seid ihr überhaupt? Und das war mit die größte Herausforderung für uns, herauszufinden, wer wir überhaupt sind, was wir wollen. Ich meine, klar, wir haben jetzt hier einen Raum, aber was machen wir damit? Und das war halt total spannend, weil ich zum Thema Baustelle auch das Gefühl habe, dieses Thema ist eine Dauerbaustelle, weil das nie aufhört. Klar, wir haben Grundsetze, wir wollen einen Ort schaffen für Soziales, für Kultur und für Arbeit. Das heißt, diese drei  Säulen wollen wir miteinander verbinden. Im besten Fall, was ich auch schon erwähnt hatte, nicht nur subkulturelle Gruppierungen hier heranziehen und anziehen, sondern vor allen Dingen auch die Hochkultur, wenn man so will auch Institutionen, die vielleicht strukturell ein bisschen fest gefahren sind. Aber ich glaube, das ist etwas mit Hochkultur und Institution, weil ich finde auch hier in Dortmund diese Kulturen, auch wenn sie unter dem Schirm der Kultur an sich stehen, wenn man will, total getrennt sind, also, was hat Street Art beispielsweise mit Museum zu tun, wie kann man das anders denken, ohne dass das dann immer eine Art Sonderausstellung wird oder irgendwas besonderes, sondern wie kann man die Kulturen, die Hoch- und Subkulturen miteinander verbinden. Wie können sie voneinander lernen vor allen Dingen auch.

N: Das wäre eigentlich meine nächste Frage gewesen, weil  dieses Projekt Becoming Dortmund vom Theater Dortmund ins Leben gerufen ist und genau in diesem Kontext, wie wäre dann die Verbindung zwischen Speicher 100 und Schauspiel Dortmund? Was kann das Theater für euch sein als Kooperationspartner, als ein Ort wo ihr euch und eure Herausforderungen sichtbar machen könnt oder was auch immer?

P: Also was ich mir gerade so konkret vorstellen kann, wäre, dass das Schauspiel hier die Proben machen könnte, auch hier diesen Prozess zeichnen oder den Raum auch mitgestalten könnte, für den Zeitraum der Proben zumindest, also dass man den Speicher auch als Schmierblatt denkt, also dass man einfach ausprobieren kann, auch als, sag ich mal, institutionelle etablierte Menschen, die im Schauspiel arbeiten, können hier wie kleine Kinder arbeiten und hier einfach mal ausprobieren, weil man vielleicht doch irgendwann einen Anspruch hat an mancherlei Dinge und ich glaube, es hilft vor allen im Kontext von Kunst und Kultur, sich da einfach mal zu befreien, sich auch zu trauen, mal Neues auszuprobieren und nicht immer nur in Hierarchien, Strukturen zu denken. Ich glaube, vielleicht ist das Passwort, Freiraum zu machen, ohne zu sehr zu denken.

N: Ja, Hierarchien und Machtstrukturen sind generell in der Institution in Deutschland eine große Frage, selbst wenn gerade versucht wird, sie irgendwie zu öffnen oder diese umzugestalten, sieht es nicht so einfach aus, weil dann im Endeffekt, wie ihr auch hier mit den Geldgebern zu tun habt, die dann irgendwie einigermaßen deren Wünsche erfüllen. Das, glaube ich, ist ja auch das Thema, das sehr viel mit der Kulturpolitik und Politik an sich zu tun hat. Gerade hab ich das Gefühl, dass Deutschland noch am Anfang ist im Vergleich zu anderen Ländern in Europa und da sehe ich auch selber die Macht oder Power von Initiativen, die sich zusammentun, weil, wie du auch gerade gesagt hast, dass die Bubble, aber wenn die sich zusammentun, sind die ja eine sehr große Bubble, weil die sind ja auch lauter, und wie du eben gesagt hast, dann können ja auch die Institutionen wie Schauspiel Dortmund eine Verbindungsstelle sein.

P: Ja klar! Was du meintest mit der Förderung oder Thema Geld, das macht ja vieles davon abhängig. Wie können wir unsere Arbeiter fördern, weil wir machen das aktuell alles ehrenamtlich, aber wir müssen auch realistisch bleiben, wenn wir wirklich einen guten schönen Ort für uns und für die Stadt gestalten möchten, brauchen wir Kapazitäten. Das heißt Zeit, und diese Zeit kann man sich nicht immer nehmen, wenn man nebenbei Lohnarbeit leistet. Das heißt genau, wie finanzieren wir diesen Raum, ohne uns zu sehr abhängig zu machen an Forderungen und auch ohne zu unzugänglich für Menschen zu sein, die keine Mittel haben, zum Beispiel über Eintrittsgelder. Das wäre zum Beispiel auch wieder gedacht, dass wir dann 10 Euro Eintritt nehmen, aber dann wieder was machen. Die Kids, die jetzt kein Taschengeld bekommen, aber trotzdem sich diese Ausstellung anschauen möchten oder dieses Mini-Konzert, das stattfindet hier am Hafen. Solche Dinge also möchten wir schon auch prinzipiell offen gestalten, so dass wirklich alle hinkommen können, nicht nur spezielle Gruppen. Darauf haben wir unseren Fokus gesetzt, was natürlich auch wichtig ist, aber da würden auch wieder Bubbeln entstehen, und ich glaube, natürlich ist das sehr ideal gedacht, aber so lange wir uns daran orientieren, ist es eine gute Arbeit, zumindest besser, als klein gedacht, dass wir eben einen Raum schaffen, wo sich Leute begegnen können und voneinander lernen und da kann man wieder zurückführen auf die Hoch- und Subkultur. Die Hochkultur kann genauso viel lernen von der Subkultur wie die Subkultur auch von der Hochkultur. Also, ich glaube, da schweben auch ganz viele Vorteile dazwischen. Auch vielleicht Arroganz. Weil man einfach nie wirklich miteinander arbeitet, gearbeitet hat und wenn das möglich wäre, wäre das auf jeden Fall auch sehr fruchtbar für die Stadt.

N: Was kann Subkultur von der Hochkultur lernen, meinst du?

P: Vielleicht auch in dem Sinne, wie man Fördergelder bekommt, wie man sich präsentiert, dass man halt einen Raum für den Austausch und das Zurückgeben von Privilegien schafft, weil das ist an sich nicht schwierig, Privilegien abzugeben. Man fragt sich nur manchmal, wie  viele Menschen gar nicht wissen, also sie sind sich dessen bewusst, dass sie privilegiert sind, aber wie kann ich diese Privilegien teilen, wie kann ich das konkret machen, ohne einfach nur zu sagen, ja, ich bin reflektiert, ich weiß, dass ich Privilegien habe, ich bin dankbar. Aber was geht über diese Dankbarkeit hinaus? Wie kann ich als privilegierte Person etwas zurückgeben?

N: Und zurück zum Thema Privilegien und Klassenfrage, wie sind die (Zusammen)Arbeitsstrukturen in euerm Verein? Seid ihr so eine demokratisch basierende Gruppe?

P: Also, wir sind soziokratisch. Das bedeutet, dass wir in dem Sinne verschiedene Arbeitsfelder je nach Person aufteilen. Das allerdings auch immer in einer gesamten Gruppe besprochen wird, uns ging es vor allem darum, dass wir nicht zu fest gezurrte Rollen verteilen,  so dass Menschen, wenn sie merken, das wird mir zu viel oder ich kann das doch nicht so gut oder ich kann das nicht alleine, dass auch das wieder ein bisschen flexibler gestaltet wird, dass man jetzt nicht jemanden für ein Jahr ernennt, o.k., das ist jetzt deine Position und das musst du in der Form jetzt tun, sondern dass man da auch noch mal mehr die Offenheit schafft und gleichzeitig, dass wir durch diese soziokratischen Strukturen versuchen, die Kommunikation besser zu gestalten, also, dass wir auch wissen, hey, woran arbeitest du gerade, kann ich dir gerade irgendwie helfen, ohne dass man vielleicht auch zu vollgebombt wird mit Infos, mit denen man gar nicht arbeiten kann und den Überblick verliert und zum Thema Diversität, klar, es ist schon so, dass unser Verein mehrheitlich weiß ist, aber das Schöne an den Menschen – und deshalb bin ich auch hier – ist auf jeden Fall, dass sie sich dessen bewusst sind und auf jeden Fall ihre Privilegien teilen möchten und offen dafür sind und das auch gerne haben und auch viel soziale, kulturelle Arbeit bereits geleistet haben und wir jetzt aber im Zusammenschluss einfach Lust haben, auch professioneller zu sein. Auch das, was ich meinte, nicht nur kleine Projekte zu machen, nein, wir wollen hier einen Standort schaffen, wir wollen hier fest bleiben und nachhaltig und uns weiterentwickeln und offen bleiben, um vielleicht noch diverser zu werden, weil das ist natürlich erst der Beginn und der Start und da müssen wir auch realistisch bleiben. Die Strukturen sind halt so, und wir müssen das Beste aus diesen Strukturen machen.

N: Wie viele seid ihr insgesamt?

P: Im Speicherverein sind wir fast 20 momentan.

N: Aber du meintest, ihr seid mehrere Vereine.

P: Genau, und je nach Verein, Atelier Amore zum Beispiel, da sind wir ungefähr 10. Bei dem Dings e.V., der auch hier ansässig ist, da sind auch auf jeden Fall so 15-20. Dann gibt es noch die Maschinerie,  das ist hier der kleine Club im Erdgeschoss. Die machen aber auch Performances, beziehungsweise mieten den Raum dafür, und Musikveranstaltungen, da sind die auch so ca. 10. Also, im ganzen Gebäude sind wir schon auf jeden Fall so je nach Zeit 40-50 Leute, weil im Gebäude selbst da ganz oben auf der dritten Etage sind nämlich noch Ateliers und diese Ateliers werden aber verwaltet vom Dings e.V. das heißt die Menschen dort sind jetzt in keinem Verein tätig, aber sind dort im Gebäude und das ist auch schön, dass es halt nicht alles immer im Kontext eines Vereins stattfindet, sondern dass dann auch private Leute einfach rein und raus gehen und da so ein bisschen Bewegung entsteht.

N: Ja, voll cool! Aber da nochmal zurück zu den Baustellen. Was gibt es denn noch Interessantes für dich an den Baustellen aus deiner künstlerischen, Kultur schaffenden Perspektive?

P: Ich glaube, Materialität ist auch etwas, was ich sehr interessant finde. Also, das ist vielleicht etwas kindisch irgendwie, aber ich finde es schon faszinierend, wie aus so einem Berg (als wir davor standen, als wir das Foto geschossen hatten) jetzt irgendwie was Konkretes wird, also aus Pulver etwas Festes und auch so die Transformation der Materien und wie da die Form gestaltet wird, und natürlich auch in wie weit sich das anpasst an das Umfeld. Natürlich werden Gebäude sehr ähnlich gebaut, sehr quadratisch immer aneinander anschließend, mit Fenstern und Türen und sehr viele Ecken und Kanten und natürlich faszinieren mich die Projekte, die da ein bisschen um die Ecke dann denken und vielleicht diese Ecke rund gestalten oder diagonal oder wie auch immer, dass da ein bisschen mehr experimentiert wird. Das finde ich dann auch immer faszinierender, dann merke ich, wie meine Sehgewohnheiten geprägt sind, dass ich dann überrascht bin, wow, das ist ja total gut gebaut oder das passt sich ja total schön der Umwelt an, weil vor allen Dingen hier in Dortmund in der Nachkriegszeit jetzt auch wenig auf Ästhetik geachtet wurde, und da fallen solche Gebäude auch stärker auf, die so ein bisschen alternativ gebaut sind.

N: Ich meine nicht nur die Baustellen, die wir übersehen im Alltag wegen der Alltagsgeschwindigkeit, sondern man kann es sozusagen auch so interpretieren, dass viele Dinge übersehen werden wie Initiativen, eure Arbeit hier oder halt andere Dinge.

P: Ja, da besteht ja auch die Gefahr vor allen Dingen bei so Initiativen, dass sich das ja auch mit der Zeit zerschlägt oder nicht zerschlägt, das klingt jetzt so dramatisch, aber dann einfach sich verliert, dass am Anfang die Motivation da ist, dass man was aufbauen möchte. Man sammelt alle Materialien, man sammelt die Mitarbeiter und all jenes und fängt dann an zu bauen, bauen, bauen und vielleicht hat man auch was fertig gestellt und dann fragen sich viele Menschen:  ja, und jetzt? Ich glaube, das ist so der Punkt, der auch bei so einer Baustelle mit reinspielt. So: Was ist denn jetzt? Was hat diese Baustelle noch an Bedeutung? Auch diese Energie, die reingesteckt wurde, ist diese Energie noch da im Gebäude, müssen wir sie aufrecht erhalten, mit welchen Materialien machen wir das dann.

N: Voll guter Punkt, weil wir stehen jetzt gerade mitten drin im Hafen und wenn wir gerade über Energie reden, ich kann mir selber nicht vorstellen, was für eine große Baustelle hier damals war, um alles aufzubauen. Wir sind in der Zeit, wo jetzt gerade die Entscheidung ist, das alles abzubauen oder so umzugestalten, anders umzubauen und ich glaube, das ist der Punkt, wo kaum daran gedacht wird, also vor allem von der Politik sozusagen. Das ist echt ein interessanter Punkt. Weiß man nicht, ob das so eine Energieverschwendung ist oder ob das der Bedarf der Zeit ist. Ich weiß nicht, wie alt ist der Hafen? Aber jetzt unabhängig davon, gibt es auch, wenn wir über Zeit reden, der Prozess zwischen Aufbau Baustelle bis zu dem, was fertig zu haben, und danach diese Umnutzung dafür umgestaltet, also in der Masse ist es zu schnell, würde ich sagen, das ist nicht, dass es so Jahrhunderte dauert,  heutzutage ändern sich die Dinge.

P: Ja, das stimmt! Also, man kann das vielleicht so ein bisschen mit Kirchen vergleichen, weil Kirchen haben ja einen ewig langen hundertjährigen Bauprozess und man beginnt häufig mit den Innenräumen und die Innenräume werden dann im Geschmack der Zeit gestaltet dann sind sie in dem Moment gotisch gebaut und dann aber je nach Bauherrenwechsel oder auch dem Wechsel des Geschmacks des Stils der Zeit ist die Fassade dann Barock. So dann hast du eine ganz andere Kirche. Momentan ist das natürlich so, dass  alles sehr schnell maschinell aufgebaut wird. Auch weniger auf Qualität geachtet wird, und ich hab das Gefühl, auch nicht so nachhaltig gedacht wird, weil man sich auch wieder denkt, ja, das kommt ja wahrscheinlich eh bald wieder weg. Das hat man bei Kirchen jetzt nicht gedacht und man sieht es den Kirchen an. Die sind einfach da, um zu bleiben, die haben eine Relevanz und sie strahlen das aus und auch die Energie, die sie ausstrahlen, nicht umsonst. Also meines Erachtens finde ich Kirchen total faszinierend, weil sie ja so  Zeitzeugen sind.

N: Dieser Hafen ist ja auch Zeitzeuge, aber mit der Baustelle wird das gerade als störend betrachtet, und die Stadt denkt, o.k., das muss weg und wir brauchen dieses große Areal, um sie anders zu nutzen.

P: Ja, vielleicht auch da die Frage, was ich erhalte und was ich transformiere. Auch diese Entscheidung zu fällen, was hat jetzt Relevanz, was kann weg. Auch da zurück zu den Kirchen: Beispielsweise der Kölner Dom ist ja auch eine Dauerbaustelle, aber es wird ja was erhalten.

N: Vor allem Renovierung ist da total anerkannt, aber bei anderen Räumen ist Abriss anerkannt.

P: Genau! Geht schneller, ist günstiger, brauchen wir nicht, und ich glaube, an solchen Gebäuden merkt man auch, wie sich der Wert, auch der gesellschaftliche Wert, an Kulturen, an Gebäuden, an Geschichte vielleicht auch, zeigt. Dass man beim Kölner Dom denkt, der ist doch voll wichtig, aber sich jetzt so beim Hafen denkt, ach, ist ja nur Industrie, ist ja nur Mittel zum Zweck, was hat das denn mit Kultur zu tun oder Geschichte?

N: Es gibt einige, ehemalige Zechen, die sind ja schon irgendwie anders umgestaltet, aber auch wieder nicht so gemeinschaftlich gedacht mit der Stadtgesellschaft, was wünscht ihr, was diese Zeche für euch weiterhin bleibt, also als Raum und so. Vieles ist auch wirtschaftlich, zum Beispiel Zeche Zollverein ist extrem wirtschaftlich, und dann denkt man, o.k., das ist die gleiche Mentalität wie damals und jetzt wird es anders genutzt, es wird halt nichts produziert, also Kultur reproduziert wahrscheinlich, aber nicht in der Art, wo Subkulturen beteiligt sind, sondern eher so wieder Hochkulturen.

P: Genau!

N: Wir sind jetzt eine halbe Stunde schon im Gespräch, was auch schön ist. Gibt es einen letzten Wunschsatz von dir, was wünschst du dir bezüglich Baustellen in der Stadt Dortmund?

P: Also praktisch betrachtet, hoffe ich auch, dass Baustellen nicht ewig bleiben, weil es natürlich sehr anstrengend ist, aber solange die Baustellen im Kopf auch noch bleiben, finde ich Baustellen super.

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