Was fasziniert uns so am Heldentum?

Was fasziniert uns so am Heldentum?

Gastbeitrag von Amelie Lopper

Superheld*innen füllen die Kinosäle: Spider Man, Batman, Doctor Strange, Wonder Woman etc. – Marvel und DC liefern sie uns seit Jahren auf die Leinwand, in den heimischen TV und als Comics und Fanartikel in die Regale. Die Faszination scheint unendlich zu sein – bei groß und klein. Meist begleiten sie uns ein lebenlang. Aber Superheld*innen findet man nicht nur im Kino, auch auf unserer Studiobühne könnt ihr sie erleben, in unserem Stück 5G – Die Rückkehr der Superheld*innen.
Wie sind diese vier Held*innen entstanden? Was fasziniert uns so sehr an Held*innen? Und wie geht man an das Thema heran? Amelie Lopper spricht mit Schauspieler Linus Ebner über das Stück, Heldentum und Improvisation.

Interview

Schauspieler Linus Ebner im Gespräch mit Dramaturgin Amelie Lopper zu der Stückentwicklung 5G – Die Rückkehr der Superheld*innen

Amelie Lopper (AL): In der Stückentwicklung 5G – Die Rückkehr der Superheld*innen hast du dich gemeinsam mit deinen Kolleg*innen Lola, Sarah und Anton und dem Regisseur Dennis Duszczak mit Superheld*innen beschäftigt. Was interessiert dich an dem Thema?

Linus Ebner (LE): Mich hat daran vor allem die Frage interessiert, warum das Genre so populär ist. Im Moment gehen alle in die Kinos zu dem neusten Marvel-Film und ich wollte wissen, warum diese Geschichten so gut ankommen und sich so viele Leute dafür interessieren.

Und eine zweite Sache, die da drin steckt, ist die kindliche Phantasie, die ja bei solchen Geschichten angesprochen wird. Ganz am Anfang der Proben habe ich schon eine Geschichte erzählt, die mir mal passiert ist, als ich als Zivi gearbeitet habe und ein kleiner Junge seinen getöpferten Vulkan bei mir abholen wollte. Er hat mir den Vulkan ganz ausufernd geschildert, wie groß der ist und dass er Lava spucken kann und Dinosaurier darauf herumlaufen und ich habe gesucht und gesucht und wollte dem Jungen schon sagen, dass sein Vulkan nicht da ist, aber dann habe ich einen ganz kleinen Ton-Haufen gefunden, wirklich ganz klein, und ihn gefragt, ob das sein Vulkan sei und der Junge war begeistert und sagte: „Ja ja, das ist mein Vulkan!“ Seine Phantasie war nicht zu bremsen und ich fand das damals sehr faszinierend, dass er das alles in dem Tonklumpen sehen konnte und ich nicht.

AL: Du hast angesprochen, dass viele Leute in die Kinos gehen, um Marvel-Filme zu sehen. Lockt ihr mit eurem Stück auch dieses Publikum?

LE: Natürlich ist unser Stück ganz anders als ein Marvel-Film, aber trotzdem bin ich immer wieder überrascht, dass so viele junge Leute zu unseren Vorstellungen kommen. Ich denke, dass das Stück auch eine ganz gute Einstiegsdroge in die Theaterwelt sein kann. Es gab sogar mal eine Vorstellung, nach der ein paar Leute aus dem Publikum draußen auf meinen Kollegen Anton und mich gewartet haben, um uns zu feiern. Wie auf der Comic-Con. Da gibt’s ja diesen enormen Fankult. Das wär‘ doch was, wenn Theaterfiguren auch so gefeiert würden. Vielleicht sollte man Actionfiguren von Hamlet machen.

AL: Das wäre toll! Trotzdem gibt es aber ja auch Unterschiede von einem Theaterstück zu einem Film…

LE: Na klar, wir können ja auch gar nicht die gleichen Special Effects machen oder so, da funktioniert Theater anders. Aber ich kann als Figur eine Behauptung aufstellen: Ich sage einfach, dass ich diese Superkraft habe und dann habe ich sie auch. Das geschieht im Theater durch die reine Verabredung mit dem Publikum, also anders als im Film, wo eine perfekte Illusion geboten werden muss.

AL: Der Journalist und Autor Dietmar Dath formuliert in seinem Buch Superhelden. 100 Seiten die Schwierigkeit, ein Publikum von Superheld*innen zu überzeugen. Wie bringt man Menschen dazu, an Superheld*innen zu glauben?

LE: Dietmar Dath nennt dieses Problem „suspension of disbelief“, also die Einstellung des Unglaubens. Dafür unterscheidet er drei Genres: Science-Fiction, Fantasy und übernatürlichen Horror. In der Science-Fiction werden exakte, plausible Erklärungen aus der Wissenschaft gesucht, um Übernatürliches zu erklären, die gar nicht stimmen müssen, aber durch ihre Komplexität davon ablenken. Fantasy spielt mit dem Märchenhaften aus der Kindheitsphantasie und Horror arbeitet natürlich mit Grusel und Schock und lenkt damit vom Unglauben ab. Diese drei Mittel kann man natürlich auch im Theater anwenden und das machen wir auch – also Horror jetzt nicht, aber die anderen beiden Mechanismen schon.

AL: Jetzt haben wir schon etwas über eure Recherche gesprochen. Ihr hattet ja keine spezifische Textvorlage, sondern habt das Stück selbst entwickelt. Wie seid ihr dabei vorgegangen? Was passierte von der Idee bis zur Premiere? Und was ist das überhaupt, eine Stückentwicklung?

LE: Puh, was eine Stückentwicklung ist, frage ich mich auch immer wieder. Ich würde sagen, wir haben das Stück selbst erfunden. Wir sind die Autoren. Als erstes haben wir eine Art Traumreise gemacht, um erste Eindrücke von möglichen Charakteren zu bekommen. Dann haben wir in den Proben viel improvisiert und ausprobiert und die Dramaturgin Sabine Reich hat daraus eine erste Szene geschrieben. Die haben wir dann weiterentwickelt und auch eigene Texte eingebracht.

AL: Improvisation kennen die meisten vielleicht vom Impro-Theater. Aber was ist für dich eine gute Improvisation – oder gibt es so etwas überhaupt?

LE: Ja, das gibt es auf jeden Fall. Es wird immer dann gut, wenn man sich radikal den eigenen Impulsen hingeben kann und ein bestimmtes Setup und Regeln etabliert, die einem dabei helfen. Und man muss natürlich darauf eingehen, was die anderen machen. Wenn zum Beispiel Lola mich anspielt und sagt: „Achtung, da ist der radioaktive Regen“ und ich antworte: „Hä, welcher Regen denn?“, dann habe ich schon verkackt. Man muss immer „Ja“ zu dem sagen, was einem angeboten wird. Und beim Impro-Theater ist das ja etwas ganz anderes, da spielt man ja auch für ein Publikum und das darf nicht langweilig sein. Aber bei der Improvisation auf der Probe hat es einen anderen Zweck, da kann es auch mal langweilig werden und man kann möglichst viel rumprobieren und dann schauen, was einem davon gefällt.

Der Gott der Improvisation ist Helge Schneider. Der hat das natürlich wahnsinnig viel geübt, bei ihm wirkt das Geprobte oft improvisiert und das Improvisierte geprobt, das ist die Königsklasse.

AL: Dein Charakter „Lapsus of Light“ ist sehr differenziert und ein eher ungewöhnlicher Superheld, ich würde sagen, eher ein Außenseiter. Und daraus schöpft er vielleicht auch seine Kraft. Er kann Menschen in Delfine verwandeln, Licht und Blumen essen, er liebt das Leben und das Chaos. Wie hast du diesen Charakter entwickelt?

LE: Ich wollte da viel ausprobieren und mich den Regeln widersetzen. Ich wollte wissen, was passiert, wenn ein Superheld mal nicht perfekt ist, sondern chaotisch. Außerdem werden Superhelden oft als asexuell dargestellt. Aber was passiert, wenn Sexualität sogar ihre Superkraft ist? Ich habe mir da auch Dionysos als Vorbild genommen.

Es ist ja so, dass ein Superheld immer aus den entsprechenden Umständen in der Gesellschaft erwächst, die ihn umgeben: Dath schreibt, dass Helden aus einer spezifischen Not geboren werden. Lapsus ist der Held einer zu perfekten Welt, der den Fehler anbetet. Die Welt wiederum braucht den Fehler, um zu funktionieren. Er ist also auf verhängnisvolle Weise mit der Welt verbunden und konstituiert ihren Status quo. Er ist der perfekte Fehler.

AL: Im Stück sagt Lapsus: „Die Verzauberung ist die Voraussetzung aller dramatischen Kunst. Wenn du mir den Stecker ziehst, dann klappt das nicht mehr. Wir wollen uns doch alle irgendwie verwandeln, oder? Sehen wir also von unserer eigenen Realität ab und genießen den Schein.“ Indem Lapsus das sagt, will er ja einerseits den Schein wahren, bricht ihn aber gleichzeitig auch. Siehst du es als Chance, Brüche sichtbar zu machen?

LE: Theater schillert am meisten, wenn es hin und her geht. Theater lebt von Dualismus. Es gibt immer ein Spiel mit der erfundenen Realität und der Tatsache, dass alles nur ein Bühnenvorgang ist. Das ist das geilste: Mit den Vereinbarungen zu spielen, die ich im Laufe des Abends mit dem Publikum eingehe. Das ist für mich der Kern der Sache.

AL: Bist du selbst ein Superheld?

LE: Nein. Je älter ich werde, desto weniger Heldenhaftes kann ich an mir erkennen.

AL: Kennst du Superheld*innen?

LE: Die Menschen, die ich liebe, sind meine Helden. Es ist auch manchmal heldenhaft, Schwäche zu zeigen. Das würde Beuys jetzt sagen: Zeig deine Wunde.

AL: Welche Superkraft hättest du gerne?

LE: Alle. Außer Gedankenlesen.

Zu den Personen

Ensemble Schauspiel Dortmund seit Spielzeit 2020/21.

Linus Ebner, 2010-14 Schauspielstudium an der Folkwang-Universität Bochum. Während des Studiums war er bereits am Schauspielhaus Bochum und im Al-Kasaba Theatre Ramallah zu sehen. Anschließend freischaffend mit Auftritten an diversen Häusern im Ruhrgebiet, u. a.  am Rottstr5-Theater, Theater im Depot Dortmund, Musiktheater Gelsenkirchen, Ringlokschuppen.Ruhr Mülheim. 2016 begann eine konzentrierte Phase am Prinzregenttheater (PRT) Bochum, in der neben vielen anderen Produktionen die Theaterperformance SISYPHOS!  (2018) entstand. Parallel zur Bühnentätigkeit entwickelte er eine malerische Praxis. 2017 erhielt er das IKF-Stipendium von ecce zur individuellen Künstlerförderung. 2018 war er Mitorganisator und Resident der FLOATING ROOMS, einem Artist-in-Residence Projekt des PRT.

Während des Studiums der Germanistik, Musik- und Theaterwissenschaft an den Universitäten in Bochum und Bern arbeitete Amelie Lopper im Künstlerischen Produktionsbüro der Ruhrtriennale, als Übertitlerin am Schauspielhaus Bochum und als freie Dramaturgin für das Kammermusikensemble CAMERATA BERN. Eine Dramaturgieassistenz führte sie in der Spielzeit 2020/21 ans Schauspiel Dortmund. Aktuell studiert sie Dramaturgie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und arbeitet als freie Dramaturgin, unter anderem für das Kammermusikfestival Liesborner Museumskonzerte, und realisiert eigene Projekte.

Amelie Lopper

Dramaturgin und ehemalige Mitarbeiterin am Schauspiel Dortmund.

5G – Die Rückkehr der Superheld*innen