Der Platz

Klasse!

Eine Gesprächsreihe am Schauspiel Dortmund

Begleitend zu der Produktion „Der Platz“

Die französische Schriftstellerin Annie Ernaux begibt sich in Der Platz in eine literarische Auseinandersetzung mit der Beziehung zu ihrem verstorbenen Vater und ihren Herkunftsverhältnissen. Bereits 1983 – lange bevor Didier Eribon mit seinem Bestseller Rückkehr nach Reims autobiografische Erzählung mit soziologischer Analyse verschränkt – untersucht Annie Ernaux in einer leisen und zärtlichen Selbstbetrachtung die Herausforderungen und Verluste, die mit einem sozialen Aufstieg aus der Arbeiterklasse verbunden sind. Was musste geopfert werden, damit sie, als erste in der Familie, studieren konnte? Was muss zurückgelassen werden, um den Erwartungen, die mit dieser Chance verbunden sind, gerecht zu werden? Und was muss neu erlernt werden, um sich in den Regeln des Bürgertums zurecht zu finden? Die Regisseurin Julia Wissert geht diesen Fragen zusammen mit dem Ensemble nach und wird sich in einer theatralen Recherche mit den Themen Herkunft und Klasse auseinandersetzen. 

Auf Grund der Corona-Pandemie musste die Uraufführung von Der Platz auf die nächste Spielzeit verschoben werden. Doch das Produktionsteam befindet sich derzeit in einem intensiven Rechercheprozess. Das Team spürt den Beziehungen zu den eigenen Vätern nach, befragt die eigene soziale Herkunft und wie sich diese auf die Biografien auswirkt und wirft einen Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im Bezug zu Klasse. Im Rahmen der Recherchephase finden im März vier Expert*innengespräche per Zoom statt. Die Expert*innengespräche werden von dem Produktionsteam moderiert.


Anmeldung erwünscht unter: alopper@theaterdo.de




Die Links zu den Gesprächs-Plattformen werden spätestens 5 Minuten vor Veranstaltungsbeginn unter der dem jeweiligen Programmpunkt auf dieser Seite veröffentlicht – auch ohne vorherige Anmeldung.



Klasse! #1

10.3. 19.30 Uhr: Was ist eigentlich Klassismus – und was hat das mit uns zu tun?

Input von und Gespräch mit Tanja Abou, moderiert von Marlena Keil (Schauspielerin) und Hannah Saar (Dramaturgin)

Klassismus bezeichnet die strukturelle Unterdrückung und Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunftsklasse. Doch wie lässt sich Klassismus erkennen? Wie wirkt sich Klassismus aus? Wer ist davon betroffen? Und was hat Klassismus mit Theater zu tun?

Tanja Abou ist Sozialarbeiterin, queere Poverty-Class-Akademikerin, Social-Justice-Trainerin, Care-Leaverin, Gründungsmitglied des Instituts für Klassismusforschung, systemische Therapeutin, DJ, gleichzeitig Lehrbeauftragte und Studentin und Kinderbuchautorin. Sie lebt und arbeitet in Berlin, wenn noch Zeit bleibt, schreibt und zeichnet sie darüber.




Klasse! #2

11.3. 19.30 Uhr: Klasse, Milieu, Habitus – und der Mythos Bildung

Input von und Gespräch mit Aladin El-Mafaalani, moderiert von Antje Prust (Schauspielerin) und Julia Wissert (Regisseurin)

Aladin El-Mafaalani ist Soziologe und Inhaber des Lehrstuhls für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft an der Universität Osnabrück. Nach dem Studium der Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und Arbeitswissenschaft folgte die Promotion in Soziologie an der Ruhr-Universität Bochum. Zunächst war er Lehrer am Berufskolleg Ahlen, dann Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Münster und später Abteilungsleiter im nordrhein-westfälischen Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in Düsseldorf. Er ist 1978 im Ruhrgebiet geboren und lebt in Dortmund. 

Die beiden zuletzt bei Kiepenheuer und Witsch erschienenen Bücher „Das Integrationsparadox“ (2018) und „Mythos Bildung“ (2020) waren Bestseller und wurden in den wichtigsten Bestenlisten aufgenommen. In „Mythos Bildung“ analysiert Aladin El-Mafaalani aus unterschiedlichen Perspektiven die Probleme und paradoxen Effekte des Bildungssystems, seine Dynamik und seine Trägheit. Eine umfassende Diagnose, ein Plädoyer dafür, soziale Ungleichheit im Bildungswesen endlich in den Fokus der Bildungspolitik und -praxis zu rücken.




Klasse! #3

17.3. 19.30 Uhr: Grenzen der Demokratie – Teilhabe als Verteilungsproblem

Input von und Gespräch mit Stephan Lessenich, moderiert von Lola Fuchs (Schauspielerin) und Raphael Westermeier (Schauspieler)

Die moderne Demokratie soll allen Bürger*innen gleichermaßen politische Teilhaberechte gewährleisten. Doch als nationale Demokratie in globalen kapitalistischen Ökonomie ist durch eine ebenso komplexe wie dynamische Konstellation der Öffnung und Schließung von Teilhaberäumen charakterisiert. Die analytische Rede von der modernen Gesellschaft als Klassengesellschaft wird dadurch keinewegs falsch – wohl aber fundamental ergänzungsbedürftig.

Stephan Lessenich lehrt Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit sowie Kapitalismusanalyse und Kapitalismuskritik. Er war von 2013 bis 2017 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS).



Klasse! #4

18.3. 19.30 Uhr: Streulicht

Input von und Gespräch mit Deniz Ohde, moderiert von Linda Elsner (Schauspielerin) und Mervan Ürkmez (Schauspieler)

Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen, wo der Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt. Hier ist die Ich-Erzählerin aufgewachsen, hierher kommt sie zurück, als ihre Kindheitsfreunde heiraten. Und während sie die alten Wege geht, erinnert sie sich: an den Vater und den erblindeten Großvater, die kaum sprachen, die keine Veränderungen wollten und nichts wegwerfen konnten, bis der Hausrat aus allen Schränken quoll. An die Mutter, deren Freiheitsdrang in der Enge einer westdeutschen Arbeiterwohnung erstickte, ehe sie in einem kurzen Aufbegehren die Koffer packte und die Tochter beim trinkenden Vater ließ. An den frühen Schulabbruch und die Anstrengung, im zweiten Anlauf Versäumtes nachzuholen, an die Scham und die Angst – zuerst davor, nicht zu bestehen, dann davor, als Aufsteigerin auf ihren Platz zurückverwiesen zu werden.

Wahrhaftig und einfühlsam erkundet die Autorin Deniz Ohde in ihrem Debütroman Streulicht die feinen Unterschiede in unserer Gesellschaft. Satz für Satz spürt sie den Sollbruchstellen im Leben der Erzählerin nach, den Zuschreibungen und Erwartungen an sie als Arbeiterkind, der Kluft zwischen Bildungsversprechen und erfahrener Ungleichheit, der verinnerlichten Abwertung und dem Versuch, sich davon zu befreien.

Der Roman ist zu finden unter: https://www.suhrkamp.de/autoren/deniz_ohde_15478.html?d_view=veroeffentlichungen

Deniz Ohde, geboren 1988 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik in Leipzig, wo sie heute auch lebt. Für ihren Debütroman Streulicht, der auf der Shortlist des Deutschen Buchpreis stand, wurde sie mit dem Literaturpreis der Jürgen Ponto-Stiftung und dem aspekte-Literaturpreis 2020 ausgezeichnet.

Link zum Zoom Webinar: https://zoom.us/j/96229641579



TEAM:
Regie Julia Wissert
Bühne För Künkel
Kostüm Mascha Mihoa-Bischoff
Sound Houwaida Goulli
Dramaturgie Hannah Saar