„ELEKTRA IST DER PURE WIDERSTAND“
FÜNF FRAGEN AN REGISSEUR PAOLO MAGELLI
Wer ist Elektra?
Elektra ist das Symbol der politischen Unzufriedenheit, die personifizierte, reine Revolte. Das Prinzip, dagegen zu sein. Ich glaube, man sollte eine für mich wichtige Sache dazu sagen. Aischylos hat mit seinen Stücken die Märchen entdeckt. Sophokles war ein General und hat diese Märchen in Geschichte umgewandelt. Euripides wiederum hat dann sowohl Märchen wie auch die Geschichte zerstört. Deshalb ist er vielleicht auch mein Lieblingsschriftsteller unter den drei großen antiken Dichtern.
Wieso inszenierst du diesen Stoff jetzt?
Wir können heutzutage keine soziologischen Analysen über die westliche Welt mehr erstellen. Eine wirkliche Revolution ist kaum mehr möglich. Doch die Unzufriedenheit im Westen wird immer stärker – gleichzeitig aber ohne Hoffnung, dass aus dieser Unzufriedenheit etwas Neues erwächst. Und diese politische Klaustrophobie, die ich persönlich erlebe, kann ich nicht mehr ertragen und muss daher versuchen, sie mit dem Autoren Alexander Kerlin und dem gesamten Ensemble zu verarbeiten.
Für dieses Stück hat Alexander Kerlin eine neue Version der Elektra geschrieben. Weshalb war dir das wichtig?
Ende der 80er Jahre habe ich in Jugoslawien eine Euripides-Trilogie gemacht: „Die Phönizierinnen“ in einem Schloss in Dubrovnik, „Elektra“ oben in den Gebirgen über Split und im dortigen Ozeanographischen Institut dann die „Helena“. Das war gewissermaßen eine Trilogie über den Krieg, der dann 1991 in Jugoslawien ja auch begann. Und wir haben 1990 mit der „Helena“ dann gewissermaßen schon die Nachkriegszeit thematisiert, bevor der Krieg überhaupt gestartet hatte. Euripides hatte mir bereits alles über die jugoslawische Tragödie erzählt. Ich habe damals schon stets mit jungen Übersetzern gearbeitet, die eine ganz moderne Übersetzung lieferten. Leider ist Euripides in Europa in die Gefangenschaft der Übersetzer geraten – die Übersetzer versuchen, besser als Euripides selbst zu sein. Ich brauchte für diese Elektra also eine Übersetzung, die sehr nah an dem ist, was ich fühle und denke über die politische Unzufriedenheit und die den Geist von Euripides interpretiert.

Die ursprüngliche Idee war es, die Elektra-Bearbeitung von Hugo von Hoffmannsthal aus dem Jahr 1904 zu wählen.
Hoffmannsthal ist ein wunderbarer Autor. Ich habe sieben Jahre lang in Wien gelebt. Aber die spezifischen Probleme der österreichischen oder mitteleuropäischen Bourgeoisie, die Hoffmannsthal dort behandelt, die interessieren mich zurzeit einfach gar nicht. Sie sind weit entfernt von meinen heutigen Gedanken.
Das Stück von Euripides ist nun 2400 Jahre alt. Wie kann man so einen uralten Text in die Gegenwart übertragen?
2400 Jahre sind für mich keine lange Zeit. Vor zwei Jahren starb meine Mutter mit neunzig Jahren. Und ich habe mir damals überlegt: Zwischen der Gegenwart und der Zeit von Sokrates und Euripides liegen nur etwa dreißig Menschenleben. Das ist gewissermaßen gar nichts. Wenn man die Antike nicht gewohnt ist, hat man vor ihr eine Menge Ehrfurcht. Ich aber betrachte die antiken Ruinen in meiner Heimat Italien, als seien sie von vorgestern. In der technischen Entwicklung sind wir natürlich erheblich vorangegeschritten – wir haben auch gleichermaßen viel zerstört. Aber philosophisch haben wir keinen großen Sprung gemacht. Wir sind da so ziemlich stehengeblieben, glaube ich.
Ein sehr interessantes Interview! – Paolo Magelli wollte Ende der 90er Jahre „Jahrmarkt“ von Miroslav Krleža inszenieren, ist Ihnen bekannt, ob etwas daraus wurde?
Sehr geehrte Frau Fialik, danke für die freundlichen Worte zum Interview! Spontan wissen wir nicht, ob Paolo einmal „Jahrmarkt“ inszenierte, wir werden ihn mal kontaktieren und uns wieder hier melden! Liebe Grüße, Matthias Seier